Täglich, ja stündlich vertrauen wir – und merken es nicht einmal. Wie selbstverständlich setzen wir Dinge voraus und haben Erwartungen an unsere Umwelt, die in der Regel auch erfüllt werden. Wir vertrauen – bis ein Ereignis dieses Vertrauen erschüttert.
«Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.» Das soll Lenin gesagt haben, zumindest in ähnlicher Form. Anscheinend hat er das russische Sprichwort «Vertraue, aber prüfe nach» sehr oft gebraucht. Hatte der Mann in diesem Punkt recht? Sollen wir vertrauen, aber immer wieder prüfen, ob unser Vertrauen berechtigt ist?
Aber kann das tatsächlich umfassend gelingen? Wer geht jeden Morgen mit seinem Kind zur Bushaltestelle und lässt sich vom Busfahrer «anhauchen»? Wer untersucht den Inhalt der gekauften Konserven unter dem Mikroskop, bevor er ihn verspeist? Und was macht das mit unserem Herzen, wenn wir denken, jedem und allem misstrauen zu müssen?
Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung für zwischenmenschliche Beziehungen. Es ist das Schmieröl, das alles mehr oder weniger reibungsfrei laufen lässt. Ja – es braucht auch hin und wieder Kontrolle, aber in einem gesunden Mass.
Bedingungsloses Vertrauen oder Unsicherheit?
Als unsere Kinder klein waren, war ihr Vertrauen in uns Eltern riesig. Papa kann alles, sagten sie vertrauensvoll. Es war rührend, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihm Zerbrochenes und Kaputtes brachten, in der Gewissheit, dass er es wieder «heil» machen würde.
Ein besonderer Vertrauensbeweis brachte mir unsere jüngste Tochter entgegen. Sie war knapp drei Jahre alt, als sie in einem grossen Einkaufszentrum verloren ging. Eben noch hatte ich mit den vier Kindern die Kuchentheke einer Bäckereifiliale bestaunt, doch als ich zum Auto kam, fehlte meine Jüngste. Schnell setzte ich die Geschwisterkinder ins Auto und machte mich mit meinem Ältesten auf die Suche. Unbeschreiblich, welch ängstliche Gedanken mir in diesem Moment durch den Kopf schossen. Nur wenig später fand ich meine Tochter. Sie stand noch immer an besagter Kuchentheke, nun aber mit dem Rücken zu den süssen Leckereien und den Blick den vielen Menschen zugewandt, die achtlos an ihr vorbeigingen. Als ich mich zu ihr hinkniete und sie in meine Arme zog, meinte sie nur: «Mama, hab auf dich gewartet.» Mein sonst so ängstliches Mädchen hatte absolutes Vertrauen zu mir, dass ich sie hier nicht zurücklassen würde. Natürlich würde Mama kommen und sie holen. Ihr Vertrauen in meine Liebe zu ihr liess sie unerschütterlich ausharren und sie konnte ruhig bleiben in einer Situation, die für sie mehr als beängstigend gewesen sein muss.
Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 06/2024