Heinz erlebt, was man keinem kleinen Jungen wünscht: Leid, das Terroristen über seine Familie bringen, Alkoholsucht des Vaters, Trennung seiner Eltern und Umzug in die Grossstadt. Wird er daran zerbrechen?
Interview: Daniela Wagner
21. September 2022

Du bist im peruanischen Dschungel aufgewachsen. Das stelle ich mir sehr abenteuerlich vor.

Heinz: Ja, meine Kindheit war wunderschön! Ich liebte es, durch die Wildnis zu streifen, obwohl das natürlich mit Gefahren verbunden war. Schlangen und Bullen behandelte ich mit dem gebührenden Respekt, ängstigte mich aber nicht vor ihnen. Im Fluss zu baden war definitiv mein Highlight. Leider durfte ich nicht allein dorthin. Half ich Brennholz stapeln oder Maiskörner aus den Kolben lösen, verdiente ich mir damit, dass mich jemand an den Fluss begleitete. Du kannst dir sicher vorstellen, welchen Spass es mir auch bereitete, auf Bäume zu klettern, Obst direkt vom Baum zu essen, zu fischen, bei der Geburt eines Kalbes dabei zu sein und meinem Vater und meinem Onkel bei der Arbeit zuzusehen. Meine Mama brachte mir bei, wie man eine Kuh melkt und meine Oma, wie ein Huhn geschlachtet wird. Es gäbe noch viel über meine Kindheit in Isco zu erzählen. Insgesamt war mein Alltag geprägt von viel Freiheit, Abenteuer und Spass.

Doch dann kam die Schulzeit, ein völlig anderes Leben. Wie bist du damit zurecht gekommen?

Überhaupt nicht! Neun Autostunden von meinem Zuhause entfernt, vermisste ich meine Eltern unglaublich und war sehr traurig. Die Verwandten, bei denen ich wohnte, hatten Eheprobleme und stritten sich häufig. Vor meiner Tante hatte ich Angst. Machte ich etwas falsch, bestrafte sie mich hart. Bei meinem Onkel hingegen fühlte ich mich wohl. Er witzelte mit mir und erzählte lustige Geschichten. Als Pilot war er aber oft weg.

Es war hilfreich, dass ich gerne in die Schule ging und dort Freunde hatte. Trotzdem wartete ich immer sehnsüchtig auf die Ferien, da durfte ich heim zu meinen Eltern.

Dein Vater war Alkoholiker.

Seit ich mich erinnern kann, trank mein Papa Alkohol. In unserer Verwandtschaft war das aber normal. Mit ungefähr 15 Jahren realisierte ich, dass mein Vater oft betrunken war und bekam mit, wie meine Mama ihn deswegen zurechtwies. Ich schob es darauf, dass es halt etwas zu feiern gab wie eine Party, eine Hochzeit oder sonst einen freudigen Anlass. Einige Jahre später, als ich zur Uni ging, wurde mir klar, dass mein Papa Alkoholprobleme hatte. Er trank auch unter der Woche und mehrmals fand ich in unserem Garten versteckte Schnapsflaschen.

Leider hatte ich jedoch selbst mit dem Trinken begonnen und war gelegentlich auch betrunken.

Wie ging deine Mutter mit der Sucht ihres Mannes um?

Schon im ersten Ehejahr entdeckte sie mit Schrecken, dass mein Vater Alkoholiker war und auch Kokablätter konsumierte. Häufig ging er fischen oder jagen und kam sehr spät nachts oder erst am nächsten Morgen total betrunken nach Hause. Einmal kehrte er zwei Tage lang nicht zurück und meine Mama musste ihn suchen. Immer wieder versprach er, sich zu bessern und bei meiner Geburt nahm er einen erneuten Anlauf. Aber der Alkoholkonsum steigerte sich. Schliesslich hielt sie es nicht mehr aus und trennte sich von ihm. Paradoxerweise reagierte die Verwandtschaft im Dorf mit Unverständnis darauf. Viel Alkohol trinken galt als normal. Was jedoch nicht zur «Normalität» gehörte, war, sich deswegen vom Ehemann zu trennen. Meine Mama und ich mussten deshalb unser Dorf verlassen. Fast drei Jahre lebten wir ohne ihn.

Hast du dich für deinen Vater geschämt, ihn deswegen verachtet?

Wie gesagt, alle Erwachsenen tranken viel und für die Kinder gehörte es einfach dazu. Später, als wir in Lima wohnten, war es mir peinlich zu sehen, wie mein Papa sich komisch verhielt, nicht «gerade gehen» konnte. Einmal, auf dem Heimweg von einer Geburtstagsparty, überfuhr er beinahe ein älteres Paar. Er war betrunken und statt sich zu entschuldigen, drückte er sauer auf die Hupe und beschimpfte die Leute. Bis heute kann ich mich an deren erschrockenen Gesichter erinnern.

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