Das hübsche Mädchen geht zaghaft ein paar Schritte auf den jungen Mann zu, der sie verlegen anlächelt. Immer näher kommen sich die beiden. Er nimmt vorsichtig ihre Hände und schaut ihr tief in die Augen. «Ich liebe dich», sagt er leise. Sie hebt strahlend ihr Gesicht zu ihm auf, zwei Lippenpaare nähern sich. Kurz bevor der Kuss zu sehen ist, schwenkt die Kamera auf die Blumenwiese im Hintergrund. Der Abspann läuft, der Film ist zu Ende, das Licht geht wieder an. Nach und nach stehen die Zuschauer von ihren Plätzen auf, manche wischen sich verschämt die Augen. So ein zu Herzen gehender Liebesfilm!
Wie geht es weiter mit dem Paar auf der Leinwand? Das werden wir leider niemals erfahren. Was wir aber wohl wissen, ist, wie unsere eigene Liebesgeschichte weitergegangen ist, die ja auch einmal so – oder vielleicht etwas weniger romantisch – angefangen hat.
Was ist Liebe?
Es ist eine eigentümliche Sache mit der Liebe. Sie rührt uns zu Tränen, sie ist stark, leidenschaftlich, opferbereit. «Ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Gottes», heisst es in Hohelied 8,6. Gleichzeitig ist sie oft unscheinbar und sehr verletzlich.
Was ist Liebe eigentlich? Das Gefühl kurz vor dem ersten Kuss? Das Miteinander in den Jahren danach? C. S. Lewis hat in seinem Klassiker «The Four Loves» vier verschiedene Aspekte von Liebe beschrieben, die im Folgenden auf die christliche Ehe angewendet werden sollen. Als gläubige Ehepaare dürfen wir mit allen vier Liebesarten vertraut sein. Denn immerhin geniessen wir das unschätzbare Privileg, an einen Gott zu glauben, der selbst Liebe ist und seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen hat (Röm. 5,5).
Zuneigung
Die Zuneigung ist die einfachste, schlichteste und zugleich häufigste Form der Liebe. Es geht der Zuneigung nicht um grosse Leidenschaften oder erotische Anziehung, es geht um das Vertraute, Einfache und Alltägliche: Die unbewusste Geste, die man so liebgewonnen hat. Den grünen Pulli, den man schon seit vielen Jahren kennt. Den kleinen Insider-Witz, den niemand sonst versteht.
Zuneigung mag das Unscheinbare. Sie verlangt wenig vom anderen, braucht keine grossen Worte oder Gefühle. Sie erholt sich rasch von einem Streit, ist gerne bereit, zurückzustecken und auf das letzte Wort zu verzichten. Sie mag den anderen, so wie er eben ist.
Normalerweise wächst die Zuneigung zu Menschen, mit denen man viel Zeit verbringt, das hat der Schöpfer so eingerichtet. Und so nimmt die Zuneigung in einer guten Ehe im Lauf der Jahre zu – unscheinbar, aber beständig. Vielen wird erst nach dem Tod ihres Ehepartners bewusst, wie gross die Zuneigung war, die sie für den anderen empfunden haben.
Zuneigung tupft kleine Farbkleckser in das Grau des Alltags. Sie macht glücklich – den, der sie empfindet, und den, der sie bekommt. Deshalb sollten wir immer wieder ausdrücken, was wir aneinander mögen. Ein kleines Kompliment, ein liebevoller Händedruck, ein vertrautes Gespräch bei einem Glas Wein – Zuneigung braucht nicht viel, bringt aber tiefe Zufriedenheit und stille Freude in den Ehealltag.
Freundschaft
So manche Ehe hat sich aus einer reinen Freundschaft entwickelt. Man hat zusammen studiert, Volleyball gespielt oder im Chor gesungen und plötzlich wurde mehr daraus. Das Wesen jeder Freundschaft ist, dass sie einen bestimmten Inhalt teilt, eine gemeinsame Leidenschaft, ein Interesse an einem spezifischen Thema. Manche Freunde gehen zusammen segeln, andere diskutieren über Politik oder kochen zusammen. Was auch immer es ist, Freunde lieben es, bestimmte Dinge miteinander zu tun.
Nicht nur Liebhaber, sondern gleichzeitig Freunde zu sein, verleiht einer Ehe einen besonderen Reiz und eine zusätzliche Stabilität, gleichzeitig kann gerade diese Form der Liebe im Lauf der Zeit schnell verlorengehen.
Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 11/2024