Von der uneingeschränkt hohen Relevanz für das Leben und den Glauben – das Alte Testament.
Stephanus Schäl
19. Juni 2019

Zugegeben, die Frage, ob wir Christen das Alte Testament noch brauchen, klingt fast häretisch. «Natürlich!», möchte man sofort antworten. «Was für eine Frage?!»

Fakt ist jedoch, dass viele Christen das Alte Testament meiden, weil es so «weit weg» von der gegenwärtigen Lebens- und Glaubenswirklichkeit scheint und nicht immer einfach zu verstehen ist. Darüber hinaus spielt es aber auch in vielen (freikirchlichen) Kirchen und Gemeinden so gut wie keine Rolle mehr. Das zeigt sich unter anderem daran, dass nur selten daraus gepredigt und gelehrt wird, zumindest im Vergleich zum NT. Und wenn ein alttestamentlicher Text als Predigtgrundlage dient, dann sind es oft nur bestimmte und immer wiederkehrende Texte wie gewisse Psalmen, messianische Verheissungen oder leicht zu übertragende Lebensbilder. Nach Predigten über konkrete alttestamentliche Gesetze, das Buch Levitikus, das Hohelied, die Kleinen Propheten usw. sucht man oft vergeblich. Hinzu kommt, dass es immer wieder Theologen gab und heute noch gibt, die ganz offen die Streichung des Alten Testaments aus dem christlichen Kanon fordern.

Welche Relevanz und Bedeutung hat also das Alte Testament für uns Christen? Brauchen wir es überhaupt noch? Reicht uns nicht das NT? Sind nicht die paulinischen Briefe viel wichtiger als das Buch der Richter oder die alttestamentlichen Gesetze?

Das AT – das Wort Gottes

Auch wenn es zunächst banal klingen mag: Das Alte Testament ist schon allein deshalb unerlässlich, weil es das bis in jedes Wort hinein vollkommen inspirierte und irrtumslose Wort Gottes ist. Gott selbst spricht im Alten Testament! Dies ist zumindest der Selbstanspruch des AT. Immer wieder lesen wir Formulierungen wie: «So spricht der HERR», «Worte des HERRN», «Das Wort des HERRN geschah zu ...» Häufig wird die Beauftragung und Autorisierung der menschlichen Schreiber sogar explizit beschrieben.

Aber auch das Neue Testament sagt ausdrücklich, dass das ganze AT Wort Gottes ist. Wenn darin von der «Schrift» oder den «Schriften» die Rede ist, bezieht sich das primär auf das Alte Testament und erst in einem zweiten Schritt auf das NT. So auch in 2. Timotheus 3,16, wo es heisst: «Alle Schrift ist von Gott eingegeben/gottgehaucht ...», was zunächst meint: «Das ganze Alte Testament ist von Gott eingegeben/gottgehaucht.» Es ist das Wort Gottes – schwarz auf weiss. Insofern hat das AT also eine bleibende Autorität auch für Christen.

Bemerkenswerterweise macht der Kontext von 2. Timotheus 3,16 deutlich, dass das Alte Testament nicht nur eine bleibende Autorität für uns hat, sondern auch für das Leben als Christ absolut notwendig und nützlich ist. Paulus schreibt: «Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du überzeugt bist, da du weisst, von wem du gelernt hast, und wie du von Kind auf die heiligen Schriften [das AT!] kennst, die Kraft haben, dich weise zu machen zur Rettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist» (Vers 14).

Verstehen wir, was hier steht? Paulus sagt Timotheus, dass das Alte Testament Kraft hat, Menschen zum Glauben an Jesus Christus zu führen. Und nicht nur das. Es hilft auch denen, die schon gläubig sind, so zu leben, wie Gott es will: «Alle Schrift [das AT!] ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes richtig ist, für jedes gute Werk ausgerüstet» (Verse 16–17).

Fazit: Das Alte Testament ist auch für Christen unerlässlich, weil es das Wort Gottes ist. Es hat Autorität (weil es von Gott selbst stammt) und Relevanz (weil es nützlich für das Leben ist).

Das AT – die Bibel von Jesus

Erinnern Sie sich an die Zeit, als zahlreiche junge Leute «WWJD»-Armbänder trugen? «WWJD» ist die Abkürzung für «What would Jesus do?» und soll zu einem Lebensstil motivieren, der sich immer wieder die Frage stellt, was Jesus in dieser oder jener Situation getan hat beziehungsweise heute tun würde.

Es ist schon nachdenkenswert, dass Jesus, als er hier auf der Erde lebte, nie das Neue Testament gelesen hat (schliesslich gab es das noch gar nicht), sondern immer und ausschliesslich Bibeltexte des Alten Testaments. Persönliche Bibellese, Familienandachten (bei seinen Eltern), Predigten, theologische Debatten (wie z. B. in Luk. 2,41–52), geistliche Kämpfe (z. B. in Matth. 4,1–11) hatten immer das AT zur Grundlage. Wie anders ist die Situation heute! Das Alte Testament war die ganze Bibel von Jesus. Deshalb erklärt er alles, was er ist, sagt und tut, fast ausnahmslos mit diesen Schriften.

Fazit: Das Alte Testament ist gerade für uns Christen unerlässlich, weil wir einerseits im Lesen und Lehren des ATs dem Vorbild von Christus folgen und andererseits ohne dieses gar nicht verstehen können, wer Christus eigentlich ist bzw. was er für uns getan hat und tut.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 06/2019.