Verlusterfahrungen. Michael Happle machte sie schon als Kind in einem dramatischen Ausmass. Der heute 65-Jährige spricht über seine schwere Kindheit und darüber, was seine wunde Seele heilte und was ihn zu einem frohen,, dankbaren und empathischen Seelsorger machte.
Daniela Wagner
8. Juli 2024

Fast «zufällig» habe ich mitbekommen, dass du in deiner frühen Kindheit schreckliche Verluste erlitten hast. Ich kenne dich als eine sehr frohe Person, die ausgeglichen wirkt, ein Seelsorger, der ermutigt, Festigkeit hat im Leben und Geborgenheit ausstrahlt. Vielen hängt die Vergangenheit nach ... Wie steht es bei dir? Sprichst du über deine schwere Kindheit?

Michael: Ich bin da zurückhaltend. Manchmal in einer Predigt oder bei einem Gespräch lasse ich etwas einfliessen, damit mein Gegenüber spürt, dass ich weiss, wovon ich rede. Durch das eigene Erleben kann ich mich gut in jemanden einfühlen, finde sein Herz, sodass er mir abnimmt, dass ich ihn verstehe. Mitgefühl mit anderen ist bei mir stark ausgeprägt, vermutlich durch die eigenen Schicksalserfahrungen. Gott hat mir ein frohes Gemüt geschenkt, das nicht an der Vergangenheit klebt und das Glas eher halbvoll als halbleer wahrnimmt. Jeder wird geformt von seiner Geschichte, ganz besonders davon, wie man als Christ den Herrn erlebt hat.

Fehlt dir dann nicht die nötige Distanz? Raubt dir deine grosse Empathie nicht die Kraft?

Nein, nicht wirklich. Geht jemand zur Tür raus, dann geht auch «das Problem» mit ihm. Wie gesagt, sicher hilft da einerseits mein Naturell. Ich verstehe das so: Wenn wir nach dem Gespräch zusammen gebetet und die Not vor den Herrn gebracht haben, dann lastet es nicht mehr auf mir. Es sei denn, es ist etwas besonders Schwerwiegendes. Ich kann auch sonst in Lebenssituationen sehr gut umschalten, mich rausnehmen. Gott muss es lösen. Gesund machen kann nur Er.

Das Gebet ist für mich ein sehr bewusster Akt. Das ganze Seelsorgegespräch ist eigentlich nur Vorbereitung auf das, was wir dem Herrn sagen werden. Wir bringen die Not sehr bewusst ihm und sind getrost, dass er handelt. Auf dem Gebet liegt Segen! Es geht ja nicht nur darum, Gott etwas mitzuteilen. Er ermuntert uns, dass wir füreinander beten, damit wir gesund werden, und das nicht nur in Bezug auf das Körperliche. Wir bringen das Anliegen zuversichtlich vor den Herrn und geben somit die Last in die Hände dessen, dem alle Macht gegeben ist und der das Beste für uns will.

Kommen wir zu deiner Geschichte. Wie muss ich mir deine Kindheit vorstellen?

Meine Mutter hatte eine gläubige Grossmutter. Von ihr hörte sie das Evangelium, nahm es aber nicht für sich persönlich an. Ihr Vater fiel im Krieg und so hatte sie ein Manko in Bezug auf väterliche Liebe, Annahme und Sicherheit. Das spielte sicher mit, als sie später meinen Vater kennenlernte. Er war um einiges älter, schon mal geschieden, ein typischer Frauenheld. Die Verwandten warnten sie, aber sie war verliebt und heiratete ihn mit gerade mal 19 Jahren. Anfangs schien alles gut. Nach vier Jahren wurde ich als Wunschkind geboren, ich blieb das einzige Kind dieser Verbindung. Als ich vier war, wurde eine andere Frau schwanger von meinem Vater. Er blieb immer öfter weg, kam nicht heim. Das ist eine meiner ersten Erinnerungen: wie meine Mutter mich abends ins Bett bringt und ich sie frage, wann Papa wiederkommt und ich oft nur Tränen als Antwort erhalte. Sie ahnte, dass er gar nicht mehr kommen würde. So war es auch. Er heiratete zum dritten Mal und liess meine Mutter und mich zurück.

Mein Vater selbst hatte kein gutes Vorbild an Familie. Aufgewachsen ohne Geborgenheit, tat er sich mit Beziehungen schwer. Natürlich war seine Lebensweise Gott und den Menschen gegenüber sündhaft, aber ich konnte ihm nie böse sein. Traurig war ich, das ist klar.

Er hat sich kaum um mich gekümmert. Bald bekam er mit seiner neuen Frau eine Tochter und später noch ein weiteres Mädchen.

Du warst mit deiner Mutter allein. Und die Versorgung war sicher schwierig ...

Meine Mutter war sehr verzweifelt und wahnsinnig enttäuscht. Der Vater gestorben, nun auch noch das Zuhause mit ihrem Mann verloren. Und da war natürlich auch Scham, hatte man sie doch vor meinem Vater gewarnt.

Zu der Zeit waren Besatzungssoldaten aus den USA bei uns, das war Anfang der sechziger Jahre. Meine Mutter befreundete sich mit einem von ihnen und wollte, wenn seine Zeit in Deutschland vorbei war, mit ihm in die USA, um dort ein neues Leben aufzubauen. Amerika schien das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Als ich gerade sechs Jahre alt war, am 6. Januar 1965, reiste sie ab nach Amerika – ohne mich.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 7+8/2024