Sie sehen gemütlich aus. Die zottigen Vierbeiner können aber auch anders.
Martin Mägli
26. Oktober 2020

Ich war erst ungefähr 8 Jahre alt, und doch erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit den Moschusochsen, als wäre es gestern gewesen. Im Naturhistorischen Museum sah ich sie zum ersten Mal und konnte kaum glauben, dass diese zottigen Tiere, welche bereits zur Zeit der Mammuts gelebt hatten, tatsächlich noch auf unserem Planeten existieren.

Erfolgreiche Suche

Es vergingen jedoch noch ein paar Jahrzehnte, bis ich sie zum ersten Mal in der Wildnis beobachten konnte. Vor einigen Jahren verbrachte ich im Herbst mit zwei befreundeten Naturfotografen zwei Wochen in Norwegen. Ich wusste, die Suche nach Moschusochsen in der weitläufigen und meist schwer zugänglichen Tundra war ein schwieriges Unterfangen. So wanderten wir an einem frühen Morgen los, ausgerüstet mit warmer Kleidung, Proviant, schweren Teleobjektiven und Feldstechern. Wir durchstreiften lichte Birkenwälder und liessen die Baumgrenze hinter uns. Plötzlich entdeckten wir mehrere dunkelbraune und gut getarnte Punkte in der Landschaft, welche wir als Moschusochsen identifizieren konnten. Wir setzten unsere Wanderung über Geröll, sumpfige Hänge und Moore fort, bis wir uns endlich den Tieren näherten. Nach etlichen Stunden gewannen wir ihr Vertrauen, sodass sie uns teilweise ziemlich nahe kamen − ein unglaubliches Erlebnis und eine der schönsten Tierbegegnungen meines Lebens. Weil ich so begeistert war, machte ich mich einige Tage später ohne meine beiden Begleiter erneut auf die Suche nach den Moschusochsen. Glücklicherweise fand ich sie auch diesmal wieder.
 
Schwierige Bedingungen

Im norwegischen Dovrefjell-Sunndalsfjella-Nationalpark lebt die einzige Moschusochsenherde Europas. Die Tiere sind eine der Hauptattraktionen des Parks. Diese karge, kalte Fjellregion ist die Heimat von rund 250 Tieren, die das Gebiet auf der Suche nach Nahrung wie Blätter, Gräser, Kräuter, Flechten, Moose und anderem durchstreifen. Moschusochsen gab es bereits während der Eiszeit. Mit grosser Kälte kommen sie problemlos zurecht, allerdings bereiten ihnen Niederschläge einige Mühe. Vor allem zu viel Feuchtigkeit setzt ihnen zu. Zudem erschweren starker Schneefall oder gar Vereisungen die Nahrungssuche. Im Winter müssen die Tiere daher oft in tiefergelegene Gebiete ausweichen. Die Klimaveränderung trifft die Moschusochsen besonders hart. Immer öfter kommt es zu Wärmeeinbrüchen mit Regen, worunter insbesondere die Kälber leiden und erkranken. Ein zusätzliches Problem ist die geringe genetische Vielfalt, alle noch lebenden Tiere stammen von ein paar wenigen weltweit übrig gebliebenen Moschusochsen ab.

Begehrte Wolle

Moschusochsen gehören innerhalb der Familie der Horntiere zur Unterfamilie der Ziegenartigen. Doch wer nun an kleine, wendige Tiere denkt, irrt sich. Ein männlicher Moschusochse kann fast zweieinhalb Meter lang und 400 Kilogramm schwer werden. Die Weibchen hingegen sind bedeutend kleiner. Ihr dichtes Fell besteht aus mehreren Schichten und lässt die imposanten Tiere noch massiger wirken. Beim Unterfell im Winter handelt es sich um äusserst feine Wolle, welche nicht nur die Moschusochsen schützt, sondern auch als edles Wollgarn (Qiviut-Wolle) sehr begehrt ist. Es gehört zu den feinsten tierischen Wollarten der Welt und wärmt ungefähr acht Mal mehr als Schafswolle. Das braune Deckhaar − mit ca. 60 Zentimeter das längste aller Säugetiere − verleiht den Tieren ihr zottiges Aussehen, welches neben den gebogenen Hörnern und dem Buckel über der Schulter eines der typischen Merkmale ist.

Wild und unberechenbar

Wer die Ochsen im Dovrefjell sehen will, hat die Möglichkeit, sich im Sommer oder Herbst einer begleiteten Tour anzuschliessen. Im Winter werden sogar Safaris auf Langlauf-Skiern oder mit Schneeschuhen angeboten. Will sich jemand auf eigene Faust auf die Suche nach Moschusochsen machen, sollte er nicht vergessen, dass es sich um wild lebende Tiere handelt. Insbesondere während der Brunftzeit und der Aufzucht der Jungtiere sind sie unberechenbar. Wer sich in die Nähe der Moschusochsen begibt, sollte mindestens 200 Meter Abstand halten, denn wenn sie sich bedroht fühlen, greifen sie plötzlich an, oder die Herde geht in Igelstellung: Sie bilden einen Kreis, die Hörner zeigen nach aussen und die Jungtiere stehen innen. Einzelne Tiere können plötzlich aus dem Kreis ausbrechen und die «Eindringlinge» attackieren. Der Mensch hat hier eindeutig das Nachsehen, denn trotz ihres etwas behäbigen Aussehens erreichen Moschusochsen eine Geschwindigkeit von bis zu 60 Kilometer pro Stunde.

Lesen Sie die ganze Reportage und betrachten Sie die eindrücklichen Aufnahmen in ethos 11/2020.