Im Rahmen meiner Arbeit für Contactions bin ich bisher dreimal nach Indien gereist. Dort traf ich immer wieder auf Menschen aus der untersten Schicht der indischen Bevölkerung, die bis heute Diskriminierung, Verfolgung und nicht selten auch Gewalt erfahren, vor allem in ländlichen Gebieten. Ihnen wird von der Gesellschaft gespiegelt: Du bist nichts wert! Zwar verbietet die indische Verfassung Diskriminierung aufgrund der Kaste, doch die gelebte Praxis sieht oft anders aus.
Dies kann so weit gehen, dass selbst die Berührung mit dem Schatten eines als unrein geltenden Menschen vermieden wird, dass diese nicht aus jedem Brunnen Wasser schöpfen dürfen, ihre Kinder in der Schule abseits sitzen müssen oder andere Formen der Demütigung erleben. Solche Erfahrungen prägen ihr Selbstbild und beeinflussen ihr Selbstwertgefühl.
Es erschüttert mich, gerade diesen Menschen in ihrer grossen Armut zu begegnen. Unterwegs mit einer Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Ärmsten der Armen beizustehen und konkrete Hilfe zu leisten, fällt mein Blick natürlich immer wieder besonders auf diese Personengruppe. Ich lerne Menschen kennen, die in einfachsten Hütten aus Palmwedeln «wohnen», ohne Zugang zu Strom, frischem Wasser oder Toiletten, und dort ihre Kinder grossziehen. Die Küche? Eine einfache Feuerstelle vor der Hütte. Die Ernährung? Einseitig und von Mangel geprägt. Meine Vorstellungskraft reicht nicht aus, um zu ermessen, was es bedeutet, hier zu leben, sich in der ständigen Sorge um den täglichen Reis aufzureiben, ohne Krankenversicherung, ohne Schulbildung, ohne Geld und ohne Sicherheit.
Roshini geht neue Wege
Die Siedlungen, in denen diese Menschen leben, liegen oft weit ausserhalb der grossen Städte, der Weg dorthin ist weit und beschwerlich, die Strassen schlecht. An einem dieser Orte treffe ich Roshini, eine junge, hübsche Frau. Um zu ihrem «Dorf» zu gelangen, gehen wir das letzte Stück zu Fuss und überqueren eine ungesicherte Bahnlinie. Überall liegt Müll, es riecht dementsprechend, Hunde wühlen im Dreck. Die Hütten sind teilweise mit Plastikplanen bedeckt, um in der Monsunzeit etwas Schutz zu bieten. Die Armut ist unbeschreiblich.
Roshini trägt Krankenhauskleidung, sie ist im zweiten Jahr ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und kommt gerade von der Arbeit nach Hause. Ihre Augen leuchten ebenso wie die ihrer Mutter, die lächelnd neben ihrer Tochter steht. Niemand in dieser Familie hat bisher einen Schulabschluss, geschweige denn eine Ausbildung – die Mutter ist stolz, aber auch voller Dankbarkeit.
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