Über die letzten Tage von Jesus Christus gibt es die verschiedensten Vorstellungen. Kindliche, abstrakte, emotionale – und viele mehr. Nicht nur die Tatsache, dass sich jedes Jahr Menschen einer Tradition folgend am Karfreitag an ein Kreuz schlagen lassen, zeigt, dass wir mit dem Begriff «Opfer» nicht so richtig fertigwerden. Immer häufiger wird die Notwendigkeit des Opfers am Kreuz theologisch angezweifelt. Hätte Gott uns nicht auch ohne Tod und Blutvergiessen vergeben und uns von unserer Verlorenheit erlösen können?
Aber Gott, Jesus Christus, hat sich für diesen Weg der Erlösung entschieden. Warum hilft und rettet er uns in dieser Weise, auf dem Weg von der Sünde über Sühne und Opfer zur Erlösung?
Wir leben in grundlegenden Spannungsfeldern von gegensätzlichen Polen, von Licht und Finsternis, Gut und Böse, Krieg und Frieden. Aber Gott lässt das Übel nicht widerstandslos geschehen. Er ist den Weg des Opfertodes gegangen, weil das die Sprache ist, die wir verstehen. Die Existenz der Menschen und ihre Lebenswirklichkeit waren im ursprünglichen Schöpfungszustand sicher ganz anders als heute. Die ersten Menschen haben die Warnung Gottes («... aber von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du gewisslich sterben» (1. Mose 2,17) missachtet. Dadurch kam diese Polarität in das Leben der Menschen. Es wurde zu einer Existenz zwischen Leben und Tod.
Durch den Eigensinn der Menschen ist etwas Trennendes entstanden. Wie eine Meerenge zwischen zwei Landrücken (im Fachjargon «Sund»), so steht die Sünde zwischen Gott und den Menschen in der gefallenen Schöpfung.
Aus dem Ewigkeitskonzept ist der Mensch in die Bedrängnis aus Raum-Zeit und damit in die Sterblichkeit gefallen. In der Ewigkeit gibt es keine Zeit und folglich keine Zeitabfolge. Es gibt keine Ursache und Wirkung und folglich auch keine Opfer-Erlösungs-Beziehung. Die Raum-Zeit-Welt bestimmt unseren Erfahrungshorizont, und wir wissen nicht nur, was Gut und Böse ist. Wir leben jetzt in einem widersprüchlichen, bipolaren Zustand und wir sind gefangen in der Wahrnehmung von Ursache und Wirkung. Für Lohn müssen wir Arbeit leisten. Wer ernten will, muss säen. Gebären ist mit Schmerzen verbunden. Mit anderen Worten: Die Menschheit ist in ihrer Trennung von Gott in eine Welt der Opfer gefallen. Aber in diesem Zustand will er die Menschen nicht lassen. Mit dem Opfer am Kreuz führt Gott sein Schöpfungsprojekt weiter.
(Artikelauszug aus ethos 03/2016)