Wie kommt man zu einem tragfähigen Glauben?
Daniela Wagner
8. Oktober 2020

Ernst, deine Lachfalten machen offensichtlich, dass du ein fröhlicher Mensch bist. Warst du schon immer eine Frohnatur?

Ernst Niederer: Oh nein, bevor ich Jesus kannte, hatte ich keine Liebe zu den Menschen; ich war sehr rechthaberisch und zog mein Ding ohne Rücksicht auf Verlust durch.

Jesus scheint für eine Zäsur in deinem Leben verantwortlich ... Was bedeutet er dir heute?

Alles. Er ist mein Leben. In einem Lied heisst es: «Freude kannst du nur erleben im Herrn Jesus Christ» – so ist es. Ihm darf ich mich ganz anvertrauen, mit ihm durch den Alltag gehen. Er hat mich erwählt, um ihm zu dienen. Früher meinte ich, das Leben selbst im Griff zu haben. Deshalb lehnte ich mich auch gegen Gott auf ...

Wie meinst du das?

Ich war der Überzeugung, dass ich das Leben selbst schaffe. Der Glaube an Gott schien mir eine Krücke, etwas für alte Frauen.

Doch dann ... Bei uns zu Hause wurde hart gearbeitet, dennoch waren wir arm und ich wusste, was es heisst, Hunger zu leiden. Als ich ein junger Mann war, verpachtete mir mein Vater ein Feld. Bis anhin hatten wir nie einen guten Ertrag erzielt und ich wusste auch, weshalb: Meinem Vater fehlte das Geld für Dünger. So sparte ich, was ich konnte, und kaufte selber welchen. Die folgende Spinatkultur gedieh prächtig. Dann kam der grosse Tag. Der Herr von der Gemüsekonservenfabrik, der mir den Spinat abkaufen wollte, begutachtete erfreut das Feld. «Wunderbar», meinte er, als er die Reihen abschritt. Doch plötzlich hielt er inne, bückte sich und sagte: «Mehltau ... und da auch, und da auch.» Alles war befallen, die ganze Ernte dahin. Und damit war ich um 1000.– Franken Erlös gekommen, viel Geld für damals! Ich musste alles unterpflügen. Seit dem Tag stellte ich nie mehr infrage, dass ich Gottes Segen brauche. So sehr ich mich auch abmühe: Wenn Er kein Gelingen schenkt, wird es nichts ...

Suchtest du dann weiter nach Gott?

Vorerst nicht. Auf dem landwirtschaftlichen Lehrbetrieb, wo ich meine Ausbildung absolvierte, las die Bäuerin jeden Morgen einen Kalenderzettel mit Bibelvers vor. Das schien mir ein guter Weg, rasch die Bibel kennenzulernen, und ich las die Verse in meiner Bibel nach. Wenn es mir schlecht ging, betete ich, mehr aber auch nicht ...

Es verging einige Zeit. Im Blick darauf, dass ich mir wünschte, einmal zu heiraten, stand für mich ausser Frage, dass so ein Unterfangen nur mit Gott im Bunde gelingen konnte. Deshalb fing ich wieder an, in die Kirche zu gehen – um das Dorf herum, damit mich keiner sah. (lacht)

Hast du in der Kirche Antworten auf deine Lebensfragen erhalten?

Nur einmal kann ich mich erinnern, dass ein Pfarrer eine Predigt hielt, die mich ansprach. Es ging um Menschen, die Jesus gesucht und gefunden hatten. Genau das wollte ich ja auch! Als ich den Pfarrer bat, mir die Predigt zu geben, lautete sein Kommentar, so persönlich müsse ich diese Bibelstelle nicht nehmen.

Obwohl du in der Beziehung zu Gott nicht weitergekommen bist, hast du dann doch geheiratet ...

Ja. Meine Frau Erika und ich genossen das Miteinander und arbeiteten viel auf unserem Hof. Es ging uns eigentlich gut. Dennoch kamen wir nach fünf Jahren zum Schluss, dass irgendetwas in unserer Ehe fehlte. Es musste wohl mit Gott zu tun haben, so unser Fazit. Gemeinsam meldeten wir uns als Sonntagsschullehrer. Das schien uns eine gute Möglichkeit, die Bibel besser kennenzulernen. Zudem liebten wir es, Kindern Geschichten zu erzählen.

Als am Mittelmeer ein Seminar für Sonntagsschullehrer angeboten wurde, beschlossen wir, das erste Mal Ferien zu machen und mitzufahren. Schnell merkten wir, dass die Seminar-Leiter etwas hatten, was wir nicht kannten: eine Beziehung zu Jesus. Die Bibel war für sie nicht nur eine spannende Geschichte. Das zog uns an und vergrösserte unsere Sehnsucht.
Wir erzählten, unser Pfarrer glaube nicht, dass sich das, was in der Bibel stehe, auch tatsächlich so zugetragen habe, beispielsweise der Auszug durchs Schilfmeer. Es sei nur ein Sumpf gewesen. Da meinte einer der Leiter: «Das ist ja ein noch grösseres Wunder, dass die Ägypter im Sumpf versoffen sind!» (lacht) Wir fuhren zurück in die Schweiz mit dem Ratschlag, mit anderen zusammen die Bibel zu lesen und zu studieren.

Was geschah weiter?

Wieder zuhause, schlug der Pfarrer vor, etwas zu lancieren, um mehr Leute in die Kirche zu bringen. Meine Idee, eine Bibelrunde zu gründen, stiess jedoch nicht auf die erhoffte Zustimmung: «Wenn die Leute anfangen, die Bibel zu lesen, gehen sie früher oder später von der Kirche weg», so der Einwand des Pfarrers. «Sicher nicht der Niederer», versicherte ich ihm.
In einer Gruppe fingen wir an, das Johannes-Evangelium zu lesen. Als der Kursleiter für drei Monate nach Peru musste, meinte er: «Ernst, jetzt musst du den Kurs leiten.» Wir waren bis zu Johannes 18 gekommen, die Kreuzigung von Jesus Christus folgte. Immer und immer wieder las ich das Kapitel durch. Was sollte ich den anderen weitergeben? Was bedeutete das für uns? Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Jesus ging für mich ans Kreuz! Ich hatte verstanden und war unendlich dankbar: Was dort passiert war, geschah für mich persönlich!

Beim nächsten Bibelabend lasen wir gemeinsam dieses Kapitel. Danach sagte ich: «Ich möchte eigentlich nur etwas sagen: Ich habe verstanden, dass Jesus für mich am Kreuz gestorben ist. Und ich bin Gott so dankbar für diese Gnade, dass er mir in Jesus vergibt und mich zu seinem Kind gemacht hat.»

Ein weiteres Geschenk war, dass meine Frau Erika zur gleichen Zeit diese Wahrheit mit dem Herzen verstanden und angenommen hatte. Mehr und mehr ging uns das Wort Gottes auf, wir fanden Sicherheit darin. Der Pfarrer war jedoch nicht damit einverstanden, dass jeder Mensch persönlich eine Entscheidung für Jesus treffen und seinen stellvertretenden Tod für sich in Anspruch nehmen müsse, um gerettet zu werden.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 10/2020.