Es ist das beklemmendste Gefühl, das es im Leben gibt: «Ich gehöre nicht dazu.» Unsere tiefste Angst ist die, ausgeschlossen zu werden. Reihenweise lesen wir in der Bibel von Menschen, die in ihrer Suche nach Bedeutung dramatisch auf die Nase fallen und danach mutterseelenallein sind.
Nicola Vollkommer
24. Januar 2017

Jeder kennt ihn. Jenen Kloss, der im Hals hochsteigt, wenn du einen Raum betrittst, in dem du niemanden kennst. Alle anderen sind per Du miteinander, lachen, plaudern, tauschen Insider-Smalltalk und Spässchen aus. Deine Versuche, dich irgendwo ins Gespräch einzuklinken, scheitern auf ganzer Linie. Du wirst von oben nach unten gemustert, als ob du ein Ausserirdischer wärst, und du wirst mit einsilbigen Antworten abgespeist. Im schlimmsten Fall ertappst du andere dabei, die Augen zu verdrehen, während sie sich von dir abwenden. Du stehst unbeholfen herum, verschiebst dein Gewicht von einem Fuss auf den anderen. Falls du dich in einem Gemeindesaal befindest, bist du froh, wenn du dich wenigstens am Büchertisch oder an einer Pinnwand aufhalten kannst und so tun kannst, als ob du ein inbrünstiges Interesse an den Informationen über das nächste Jungscharevent hättest, die dort angebracht sind.

«Ich gehöre nicht dazu.» Es ist das beklemmendste Gefühl, das es im Leben gibt. Es lauert überall. Auf dem Pausenhof in der Schule, in der Kaffeepause bei der Arbeit, bei der Betriebsfeier, am Kindergarteneingang, während du mit den anderen Müttern auf dein Kind wartest, beim Geburtstag in der Verwandtschaft, beim Kaffeeklatsch nach dem Gottesdienst, am Laptop, wenn du die neuesten Posts auf Facebook oder Twitter herunterscrollst.

Gleich, in welcher Phase des Lebens wir uns gerade befinden, sind wir Menschen zu vielem fähig, wenn es darum geht, ja nicht dieses Gefühl zu haben, ich werde nicht beachtet. Maximilian hängt die Beziehung zu seinem Kindheitsfreund Johannes an den Nagel, weil dieser bei den neuen Kumpels nicht als «cool» gilt. Die Clique im Jugendkreis serviert Mandy eiskalt ab, weil sie über den Jugendleiter nicht mitlästern will. Meli bekommt keine Einladungen mehr zu geselligen DVD-Abenden in der WG, weil Ben nicht will, dass sein Freund Joris sich in Meli verliebt. Meli ist nämlich die Tochter vom Pastor, und Ben und seine Kumpels frönen gerade ihrer Anti-Gemeinde-Stimmung. Kim wird nicht zur Party eingeladen, weil sie Susi in Schutz genommen hat, als diese gemobbt wurde. Beispiele aus einem Gemeindealltag.

Die Liste könnte endlos weitergeführt werden. Wir kaufen Kleider, Autos und Häuser, die wir uns nicht leisten können, nur um als «angekommen» zu gelten. Wir streben Ämter an, für die wir weder die Zeit noch die Kompetenzen haben, um mitreden zu können.  Ziehen uns lautstark aus der Mitarbeit zurück, wenn Dinge nicht nach unserem Konzept laufen. Wir fahren Prinzipien herunter, geben sogar Glauben und Gemeinde auf – um nicht ausgegrenzt zu sein. Kritisieren andere, um selber besser dazustehen. Klagen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Lästern über die, die unsere Wünsche nicht erfüllen, drängen andere an den Rand, um uns zu rächen. Reiben die Hände, wenn wir Verbindungen mit «wichtigen» Menschen vorzeigen und diejenigen neidisch machen können, die nicht so «gesegnet» sind wie wir.


Verraten – enttäuscht – isoliert

Oft sind es Prozesse, die unreflektiert laufen. Sie sind Auswüchse von unserem Drang, einen festen Stammplatz im inneren Kreis zu sichern, «wer» zu sein. Schliesslich sind wir Herdentiere, auf Gemeinschaft programmiert, von Gott so geschaffen. Unsere tiefste Angst ist die, ausgeschlossen zu werden. Aber weil wir gefallene Geschöpfe sind, wird gerade diese Gemeinschaft oft zur Falle. Im Kräftemessen zwischen Eitelkeit und Empathie gewinnt doch immer wieder die Eitelkeit die Oberhand. Wichtiger, als eine Beziehung zu retten, ist doch immer wieder, eine Diskussion zu gewinnen. Kritisch wird es, wenn dies zu einem Lebensstil wird. Verbitterung und Isolation lassen grüssen: die tiefsten und bleibendsten Wunden, die Sünde in eine menschliche Seele schlägt.

Hinzu kommen Facebook, Twitter & Co., die «Social Media»: Portale der Einsamkeit schlechthin. Von wegen «Freunde»! Die Endlosschleife der exotischen Urlaubsbilder, der fröhlichen Gruppenbilder und neuesten Knutsch-Porträts mit dem Traumpartner, die zur Schau gestellt werden, müssen sich wie eine dauerhafte Salzspritze in der Wunde einer einsamen Seele anfühlen. Zu jeder Zeit präsentiert sich einer, der fitter, hübscher, schlanker, schlauer, verliebter ist, mehr Likes bekommt, mehr Freunde hat. Welcher Jugendliche hat in diesem Klima die Chance, sich nicht minderwertig und ausgegrenzt zu fühlen?

Das ist das Dilemma unserer Beziehungswelten: Wir kommen ohne Beziehungen nicht aus, aber mit Beziehungen tun wir uns schwer. Es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich mich dermassen von Menschen verraten fühlte, auf die – so dachte ich – Verlass war, dass ich innerlich beschloss, Menschen nie wieder mein Vertrauen zu schenken. Ich bekam jedes Mal Schweissausbrüche, wenn ich einen Raum betrat, in dem viele Menschen waren. Pech, wenn man mit einem Pastor verheiratet ist. Ich wurde misstrauisch, sobald mir jemand zu nahetrat, bekam ein Herzflimmern, wenn ich auf einer Bühne stand und in ein Meer von Gesichtern blickte. Auch wenn es «nur» eine Schulklasse oder eine Jugendgruppe war.

(Artikelauszug aus ethos 1/2017)