Als Basis für eine Beziehung nennen die meisten den Begriff Treue. Leider entpuppt sich dies in der Praxis oft als reines Wunschdenken. Sind wir überhaupt zur Treue fähig?
Roswitha Wurm
19. März 2016

Im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark befindet sich der Geysir «Old Faithful» («alter Treuer»). Durch Aufzeichnungen weiss man, dass er seit dem Jahr 1870 zuverlässig alle 60 bis 90 Minuten eine Wasserfontäne in die Höhe schiesst. Dieser Geysir ist ein untrügliches Zeichen für Treue und Zuverlässigkeit!

Befragt man Menschen nach der wichtigsten Basis für eine Beziehung, nennen die meisten den Begriff Treue an oberster Stelle. Ohne Treue funktioniert Beziehung nicht! Treuloses Verhalten macht unglücklich – nicht nur den Betrogenen, sondern auch den Untreuen selbst. Dies gilt für alle Arten menschlicher Beziehung: zwischen Mann und Frau, Eltern und Kind, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Geschwister in der Familie und in der Gemeinde. Treue ist in unserer Gesellschaft nicht zwangsläufig selbstverständlich und erstrebenswert. Toleranz und «Hauptsache, mir geht es gut» dienen häufig als Grundlage.


Treue – was beinhaltet das?

Treue und Wahrheit haben von ihrem ursprünglichen Wortstamm und Sinn die gleiche Wurzel. Sprachlich verwandt (aus dem hebräischen Ursprung) ist das Wort mit zwei anderen wichtigen Begriffen: «Wahrheit» (engl. truth), «Vertrauen» (engl. trust) und «Amen». Das letzte Wort vieler Gebete bedeutet so viel wie «So sei es» und «gewiss». Treue beschreibt also eine Tugend, welche die Verlässlichkeit und Selbstverständlichkeit eines Menschen gegenüber einem anderen ausdrückt.

Treue in Beziehungen – zu anderen Menschen, in einem Arbeitsverhältnis und auch Gott gegenüber – hat mit Durchhaltevermögen zu tun. Wie verhalte ich mich, wenn die erste Begeisterung über den Job, die erste Verliebtheit dem Partner gegenüber oder die erste Euphorie, nachdem ein Mensch sein Leben unter Gottes Führung gestellt hat, verflogen ist? Wenn Schwierigkeiten auftreten, wenn es nicht so läuft, wie ich mir das vorgestellt habe? Wenn ich «nicht auf meine Rechnung zu kommen» scheine? Wenn ich doch nur «einfach meinem Herz folgen möchte»?

Die Antworten auf diese Fragen sind ein wichtiger Barometer für meine persönliche Einstellung zur Tugend Treue.


Sicher ans Ziel gelangen

Unter Seiltänzern gibt es eine wichtige Weisheit. Im Film «The Walk» gibt der Lehrmeister dies seinem Schützling mit auf den Weg, als er bei seinem Versuch, über ein Seil zu balancieren, kurz vor dem Erreichen der anderen Seite stolpert und abstürzt: «Verliere nie das Ende des Seils und die sichere Plattform aus den Augen. Die meisten Seiltänzer verunglücken wenige Schritte vor dem Ziel. Sie denken, sie hätten es drauf und es so gut wie geschafft. Werde nie arrogant kurz vor dem Ende, sonst wirst du abstürzen!»

So verhält es sich auch im praktischen Leben, wenn es darum geht, in einer Aufgabe oder einer Beziehung treu zu sein. Wer meint: «Mir kann das nie passieren, dass ich meinem Partner oder meinem Arbeitgeber oder gar Gott untreu werde», ist mitunter gefährdet, genau so zu handeln. Treue beinhaltet, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und Werte, die einem wichtig sind, hochzuhalten. Aufmerksam leben ist eine Grundvoraussetzung dafür.

«Blicket auf Jesus, damit ihr nicht den Mut verliert», lautet der Tipp von Paulus, um ein Leben in Treue und Gottesfurcht zu leben. Der Fokus eines Christen darf und muss Jesus und sein Wort sein. Wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, wird sicher ans Ziel gelangen.

Dieses Achtsamsein hilft uns, im Glaubensleben, in der Partnerschaft, in Freundschaften und auch in unserem beruflichen Umfeld treu zu sein.

(Artikelauszug aus ethos 03/2016)