Die Ehepaare Schäller und Seibel sind Zeitzeugen einer vergangenen Ära und dafür, was für einen Unterschied es machte, auf welcher Seite der Mauer man lebte. Über eine Freundschaft, die den «Ossis» wie den «Wessis» den Horizont weitete.
Daniela Wagner
1. Februar 2018

Manfred, du hast zu «DDR-Zeiten» zum Glauben an Jesus Christus gefunden. Wie kam es dazu?
Manfred Schäller: Ich war ein suchender Mensch. Schon bald stellte sich mir die Sinnfrage des Lebens. Ich las viel über Naturwissenschaft und Glauben. Es gab heisse Diskussionen zum Thema: Gibt es einen Gott, einen Schöpfer, oder stimmt die Evolutionslehre, nach deren Massstäben wir in unserem totalitären System erzogen wurden?

Wie sah euer Familienleben aus?
Manfred: Wir waren eine glückliche Familie. Oft unternahmen wir Wanderungen ins Grüne, meist in den Wald. An ein Auto war nicht zu denken, trotzdem hielten die Kinder auch auf langen Märschen tapfer durch. Nach heutigen Massstäben lebten wir ärmlich.

Gerhild: Unsere Kids wuchsen in eine Aussenseiterrolle hinein. In der Schule geschah es, dass die Lehrerin die ganze Klasse aufforderte, dieses einzelne schwarze Schaf (Christ und Nichtpionier) mal so richtig auszulachen (Thälmannpioniere, eine Organisation für Schüler, die die Ziele des Sozialismus verteidigen sollten). Das tat weh! 1976 wurde das Unterrichtsfach Wehrerziehung eingeführt; damit wurde Hass gesät. Ein Pädagoge begann sei nen Unterricht beispielsweise mit den Worten: «Wenn man bedenkt, dass unsere Feinde vor unserer Haustür stehen ...» Er meinte damit die Bewohner im Westteil Deutschlands. Kinder von Christen wurden generell benachteiligt. Nach der Wende nahm ein Lehrer mit uns Kontakt auf und berichtete: «Wir durften nicht anders, Anweisung des Bildungsministeriums.»

Zu DDR-Zeiten gab es Wochenkrippen, man konnte den Nachwuchs am Montag im Hort abgeben und am Freitag wieder abholen. Wie habt ihr das gehandhabt?
Gerhild: Krippe, Hort und Pioniernachmittag kannten unsere Kinder nicht. Bis zum Schuleintritt blieben sie zu Hause. Wir wollten sie selbst erziehen. Immerhin wussten bereits Vorschulkinder, wer der gute Onkel Lenin war. Als christliche Eltern wollten wir andere Massstäbe vermitteln. Langweilig wurde es ihnen zu Hause nicht. Im Gegenteil, staatlich betreute Kinder aus der Nachbarschaft kamen
gern zum gemeinsamen Spielen. Mir fiel auf, dass sie eine übersteigerte Anhänglichkeit zeigten. Irgendwie fehlte ihnen die Nestwärme. Wen wundert’s, wenn beide Eltern in drei Schichten arbeiteten!
Mutig seid ihr euren Weg gegangen, obwohl eine eigene – nicht parteikonforme – Meinung einschneidende Konsequenzen mit sich brachte.

Gerhild und Manfred: Wir waren keine Staatsfeinde, wurden jedoch aufgrund unserer christlichen Überzeugung als feindlich negative Personen eingeordnet. Der Besuch des Gottesdienstes konnte als staatsfeindliche Gruppenbildung ausgelegt werden. Der Kontakt zu Seibels und die Übergabe von christlicher Lektüre war eine ungesetzliche Verbindungsaufnahme, gekoppelt mit landesverräterischer Nachrichtenübermittlung.

Derartige Straftaten konnten in vorbereiteten Internierungslagern enden. Wir lebten in einer Diktatur des Proletariats; Angst und Misstrauen sollten die Bürger gefügig halten. Obwohl wir keine Hetze betrieben, konnte ein Satz oder gar ein Bibelwort trotzdem als öffentliche Herabwürdigung betrachtet werden. Und wir waren Nichtwähler – ein schwerwiegendes Politikum! Eine Wahl verstanden wir als Entscheidung zwischen mindestens zwei Möglichkeiten. Man konnte jedoch nur die «Kanditaten der Nationalen Front» wählen. Diese repressive Volksgängelei machten wir nicht mit und waren damit staatsfeindliche Elemente! Klar, dass solch widerborstige Andersdenkende in die niedrigste Lohngruppe fielen. Gab es Menschen in dieser atheistischen Umgebung, die offen für das Evangelium waren?

Manfred: Eine Minderheit zeigte sich offen und war auch bereit, Repressalien zu ertragen.

Wie war euer Kontakt zu den Nachbarn?
Gerhild und Manfred: Der Kontakt verlief problemlos! Auch zu den Nachbarn, die uns verrieten. Sicher wurde man insgeheim belächelt. Gelegentlich hielt man uns vor, dass wir mit der Hinwendung zum Glauben unseren Kindern den Weg in die Zukunft verbauen würden. In der DDR lebte man ganz gut, wenn man alles mitmachte, wenn auch halbherzig, eben als Mitläufer. Diese Doppelzüngigkeit, manchmal auch Unwahrhaftigkeit, nahm man in Kauf. So dachten die meisten und hatten ihre Ruhe. Es entstand eine Grundhaltung, die äusserst negativ war, ein Denken, das sich bis in die Gegenwart auswirkt.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 02/2018.