Pflegekinder in die eigene Familie zu integrieren ist herausfordernd – für das Kind und die «Ersatzfamilie».
Sabine Kähler
13. September 2017

Als wir vor einigen Jahren ein Pflege-kind aufnahmen, erweiterte sich unsere Familie um ein Mitglied und unser Vokabular um Wörter wie: Herkunftsfamilie, Bauchmama, Besuchskontakt und Hilfeplan – Begriffe, die für uns bis anhin keine Bedeutung hatten. Eine intensive Zeit begann: Liebe, Geduld und Konsequenz waren gefragt. Ich machte so manche Fehler, darf aber bis heute auch viel lernen.


Kinder sind keine Tulpen

Tulpen pflanzen ist einfach. Man kauft sich ein Säckchen mit Blumenzwiebeln, wählt einen schönen Platz im Garten und drückt sie in die Erde. Jede einzelne Tulpe hat eine Vergangenheit – einst in einem anderen Garten geblüht, hindert sie das nicht, am neuen Ort ebenfalls Wurzeln zu schlagen und im Frühjahr den Gärtner mit einer wunderschönen Blüte zu erfreuen. Auch Pflegekinder bringen eine Vergangenheit mit sich. In der Regel entstammen sie nicht einer heilen Welt, sonst hätte man sie dort nicht herausgeholt. Ihr Leben ist geprägt von Armut, Beziehungskonflikten oder Sucht. Nicht selten erleiden sie Gewalt, Missbrauch oder Verwahrlosung. Frühe schwere Verluste und Stresserfahrungen hinterlassen tiefe Spuren, erschweren das «Anwachsen» am neuen Ort und wirken sich viele Jahre lang aus, oft bis ans Lebensende. Wie einen schweren Rucksack tragen sie ihre Vergangenheit mit sich herum.


Unsicherheiten

Die Trennung von den Eltern kann sich tief in einem Kind einprägen und es stark verunsichern. Katja kam mit vier Jahren in eine Pflegefamilie. Die ersten Monate, so erzählte die Pflegemutter, suchte sie sich ständig zu vergewissern und fragte mehrmals täglich: «Darf ich hier bleiben? Muss ich wieder zurück?» Stets war sie gedanklich damit beschäftigt, ihre Welt zu ordnen: «Das ist jetzt mein Zimmer, mein Bett. Ich wohne jetzt hier.» Als sie acht Jahre alt war, durfte sie bei der Freundin der Pflegemutter ein paar Ferientage verbringen. Auf dem Heimweg überlegte sie laut: «Ob wohl mein Bett noch steht? Oder haben sie es inzwischen abgebaut?» Selbst nach dieser langen Zeit fehlte
ihr das vollständige Vertrauen, dort für immer bleiben zu können.

(Artikelauszug aus ethos 9/2017)